TRIEBWAGEN TYP P 1.65
Gebaut von: Rathgeber, München (1960)
Für die in den 1950er Jahren geplante Tiefbahn musste ein neuer Trambahntyp entwickelt
werden. Einem Trend der Zeit folgend, stellte man sich einen durchgehenden Gelenktriebwagen vor. Basis des Münchner Gelenkwagenzugs sollte der mittlerweile bewährte Typ M sein. Zwei Dreiachser mit den üblichen Fahrgestellen sollten mit einem
schwebenden Mittelstück, das über zwei Faltenbälge, den sog. „Ziehharmonikas“, befestigt war, miteinander verbunden werden.
Der Triebwagen 101 traf am 21.3.1960 in drei Einzelteilen im Betriebshof 5 ein, wo er zunächst fertig montiert wurde. Das Schwesterfahrzeug 102 folgte dann am 21.5.1960. Am 25.3.1960 wurde der neue Triebwagen 101 der Presse offiziell vorgestellt, eine Probefahrt auf der Grünwalder Strecke schloss sich an. Die Steuerung erfolgte nach dem System Kiepe, analog den Triebwagen 774 – 810. Die Kiepesteuerung sollte einen Zugbetrieb entweder mit zwei Gelenktriebwagen oder mit einem Gelenktriebwagen und einem M-Triebwagen mit Kiepesteuerung ermöglichen. Daneben konnte der Gelenkwagen auch mit einem m-Beiwagen verstärkt werden.
Das schwebende Mittelteil wurde betriebsintern als „Brücke“ bezeichnet. Es stützte sich auf zwei gummigelagerte Gelenke und wurde durch ein weiteres Gelenk am Wagendach stabilisiert. Das Fahrzeug besaß fünf gleich große Türen, die beiden äußeren zum Einsteigen, die drei mittleren zum Aussteigen bestimmt. Es handelte sich erstmals um nach außen schwingende Türen, die später auch in den M5/m5-Wagen Verwendung finden sollten.
Die neuen Triebwagen erregten großes Aufsehen bei der Bevölkerung; schnell fanden sie unter dem Namen „Tatzelwurm“ Eingang in den Sprachgebrauch von Trambahnern und Fahrgästen. Im Frühjahr 1963 betrachtete man die Versuchseinsätze als abgeschlossen, jedoch hatten sich die hohen Erwartungen nicht erfüllt. Es war nicht gelungen, den Fahrgästen das neue Fahrgastflußsystem zu vermitteln, man benötigte weiterhin zwei
Schaffner. Zudem erwiesen sich die Wagen, insbesondere die Brückenkonstruktion, als sehr wartungsanfällig. Da der Gelenkwagen zudem gegenüber dem konventionellen M/m-Zweiwagenzug in der Anschaffung teurer war, beschloss man zum 7. Wagenbeschaffungs-
programm wieder auf die bewährten Trieb- und Beiwagenzüge zurückzugreifen.
In den folgenden Jahren führten die beiden Prototypen ein Außenseiterdasein. Mit Lieferung der Kurzgelenkwagen der Typen P2/p2 und P3/p3 änderte man betriebsintern die Typenbezeichnung von P 1.65 in MG (= M-Gelenkwagenzug), was an den Fahrzeugen allerdings nicht angeschrieben wurde. Mitte der sechziger Jahre verkehrten die stets im Betriebshof 7 an der Schlierseestraße beheimateten Fahrzeuge auf der Linie 29 (Pasing – Michaelibad), bevor sie auf die Linie 25 (Maximiliansplatz – Grünwald) wechselten. Dort blieben sie bis zur Umstellung dieser Linie auf den Einmannbetrieb am 1.8.1972.
Am 22.11.1970 erlitt der Tw 102 einen schweren Zusammenstoß, wobei die vordere Plattform komplett zerstört wurde. Zunächst plante man, den Wagen auszuschlachten, jedoch war er erst im August 1968 einem weitreichenden Umbau unterzogen worden. Hierbei war auch die ursprüngliche Kiepesteuerung durch ein Siemens-Schaltwerk ersetzt
worden. Wider Erwarten wurde der Triebwagen daher zur Freude der Münchner Tramfreunde wieder instandgesetzt.
Nach Schließung des Betriebshofs 7 am 28.5.1972 wurden die Triebwagen zum Betriebshof 2 in Steinhausen umgesetzt und kurze Zeit auf der Stoßzeitlinie 27 (Moosach – Schwanseeplatz) eingesetzt. Doch schon bald zog man den Triebwagen 101 aus dem Personenverkehr und degradierte ihn ab dem 20.12.1972 zum Einsatz als Personalwagen
für den Transport der Arbeiter der Hauptwerkstätte. Im Januar 1973 erhielt er die Arbeitswagennummer 2901.
Die ursprünglichen Pläne, beide Wagen auf Einmannbetrieb umzubauen, wurden fallengelassen. Ende Mai 1975 wurde der Triebwagen 2901 mit fälliger Hauptüber-holungsfrist vorläufig abgestellt. Der Triebwagen 102 war zum Schluss auf der letzten mit
Schaffnern besetzten Stoßzeitlinie 29 (Willibaldplatz – Lorettoplatz) eingesetzt worden. Mit dem Ende des Schaffnerbetriebs wurde auch dieser Triebwagen ausrangiert. Kurze Zeit plante man zumindest einen Triebwagen zum Partyzug umzubauen, jedoch wurden diese
Pläne von der Leitung der Verkehrsbetriebe nicht ernsthaft verfolgt, da man das System Straßenbahn nicht noch zusätzlich aufwerten wollte, sondern vielmehr gezielt auf dessen Abschaffung hinarbeitete. Im Juli 1976 schlug das Schicksal daher mit aller Macht zu. Triebwagen 2901 wurde in der Hauptwerkstätte verschrottet, während sich für das Schwesterfahrzeug 102 das Deutsche Straßenbahnmuseum (DSM) als Käufer fand.
Der nach Hannover verkaufte Tw 102 verschlechterte sich dort in seinem Zustand, konnte aber wegen anderer Projekte nicht aufgearbeitet werden. Deshalb gelang es dem FMTM im Sommer 2015 in einer spektakulären Rückholaktion den Triebwagen 102 zusammen mit dem Wanderbrüchereiwagen nach München zurück zu holen. Inzwischen sind bereits einige Arbeiten zur Erhaltung und Vorarbeiten zu einer möglichen Wiederinbetriebnahme als historisches Fahrzeug erfolgt.
Der 102er auf der Linie 25, Ausfahrt Sendlinger Tor Platz Richtung Grünwald.
Ein seltener Blick unter den Tatzelwurm: Die Glocke mit der Nummer "200".
Aufnahme: Dieter Kubisch
Aufnahme: Reinhold Kocaurek
Film: Reinhold Kocaurek FMTM eV.
© Archiv FMTM eV.
Unvergessen: der hier in Grünwald stehende baugleiche 101er, der 1976 verschrottet wurde.
Aufnahme: Dieter Kubisch
Der 102er auf der Linie 25 am Nockerberg Richtung Grünwald.
© Archiv FMTM eV.
Der 102er, der "Tatzelwurm", im November 2015 bei seiner Erstvorstellung nach seiner Rückkehr nach München neben dem MVG-Museum.
Eine seltene Zeitreise mit dem Tatzelwurm: Fahraufnahmen mit dem 102er im Jahr 2017
Lenkdreiachs-Gelenkwagen
Typ: P 1.65
Betriebsnummer: 101-102
Stückzahl: 2
Hersteller: Rathgeber
Baujahr: 1959/1960
Für die geplante Unterpflasterstraßenbahn und zur Reduzierung des Schaffnereinsatzes wurden 1960 zwei Gelenktriebwagen bstehend aus einem M-Triebwagen und Beiwagen mit eingehängten schwebenden Mittelteil, wie sie schon bei anderen deutschen Betrieben allerdings als Drehgestellwagen im Einsatz waren. Es waren die ersten M-Wagen mit glatten Seitenwänden und Schwenktüren, beim Beiwagen sogar schon die Ausstiegstüre vor der Lenkachse, wie bei den folgenden M 5. Die Wagen wurden wegen ihres völlig anderen Fahrgastflusses jedoch von den Fahgästen nicht angenommen und daher nicht weiter beschafft. Sie mußten sogar mit roten Liniennummern fahren, damit die Fahrgäste schon von weitem erkennen konnten, dass sie an anderen Türen zusteigen mußten, als bei den M-Zügen. Als ab 1964 die P-Wagen beschafft wurden, mußten die zwei P 1.65 diese Baureihenbezeichnung frei machen und wurden dann in MG 1.65 (M-Gelenk) umbenannt, was allerdings nie an den Wagen angeschrieben wurde. Sogar die Einsparung von Schaffnern ließ sich im Stoßverkehr nicht umsetzen. Daher wurden die zwei P 1.65 Züge nicht für den Einmannumbau vorgesehen. Der Wagen 101 wurde daher 1972/1973 zum Personalwagen Nr 2901 und der Wagen 102 1976 nach Wehmingen verkauft.
© Archiv FMTM eV.
Betriebsnummer 102 fuhr noch ein paar Jahre als Dienstwagen durch München.
Aufnahme: Dieter Kubisch
Auch wenn die beiden Wagen im Fahrgastdienst nur einzeln eingesetzt wurden, gab es durchaus auch Versuche für den Einsatz als Doppeltraktion oder wie hier mit einem M3-Triebwagen in der Schleife an der Großhesselohe
© Archiv FMTM eV.
© Archiv FMTM eV.
Am 22. November 1970 wurde der Wagen 102 in einen schweren Unfall verwickelt: In der Sonnenstraße, Höhe Schwanthalerstraße stößt der MG-Zug frontal mit dem M3-Zug 817/1649 zusammen. Dabei werden etwa 35 Fahrgäste leicht verletzt und der Fahrer des Wagens 102 in dem völlig zerstörten Führerstand eingeklemmt und schwer verletzt. Nachdem dies zunächst nach dem Todesurteil für diesen Wagen aussah, wurde er dann doch überraschenderweise wieder hergerichtet; die Instandsetzung dauerte elf Monate und wurde im Dezember 1971 abgeschlossen.
Technische Daten der P 1.65-Wagen:
Gesamtlänge: 26,35 m;
Breite: 2,25 m;
Höhe: 2,99 m;
Gewicht: 30,6 t;
54 Sitzplätze, 180 Stehplätze;
© Archiv FMTM eV.
© Archiv FMTM eV.
Von Hannover konnte der Tazelwurm nach langer Abstellzeit im Freien 2015 vom FMTM wieder nach München zurück geholt werden. Seine Aufarbeitung ist derzeit in Gang.
Autoren: Klaus Onnich
& Gestaltung Dieter Kubisch
Reinhold Kocaurek, alle FMTM e.V.